Große E-Scooter-Studie vorgestellt - Unfallforscher fordert größere Räder und Führerschein­pflicht

Knapp die Hälfte aller E-Scooter-Unfälle mit Schwerverletzten oder Getöteten waren Alleinunfälle ohne weitere Beteiligte. Ausschließlich bei diesen Unfällen spielte Alkohol eine Rolle, bei allen anderen Unfällen nicht. Die Verletzungen der Scooter-Fahrer sind selten schwer, am häufigsten ist die Kopf-Region betroffen, allerdings auch hier meist mit leichteren Verletzungen. Bei Unfällen mit einem weiteren Beteiligten ist der Abbiegeunfall auffällig. Sehr viele Unfälle resultieren aus dem Verlust der Kontrolle über den Scooter. Dies sind zentrale Ergebnisse einer umfassenden Studie zum Scooter-Unfall, die die Unfallforschung der Björn Steiger Stiftung am Freitag in Münster vorstellte. Die Studie basiert auf der detaillierten Auswertung der polizeilichen Unfallaufnahme, der Codierung sämtlicher im Zusammenhang mit einem Scooter-Unfall in den Jahren 2019 bis 2024 in der Notaufnahme des Unfallkrankenhauses Berlin (UKB) vorgestellten Personen sowie Simulationen der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Zentral für die Verringerung dieser Unfälle sieht Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Björn Steiger Stiftung, die Veränderung der Radgrößen. Rund 45 Prozent aller Schwerverletzten und Getöteten seien auf Alleinunfälle zurückzuführen. Sowohl mit als auch ohne Alkoholeinfluss waren dabei Hindernisse im Straßenraum, beispielsweise Bordsteine, ein wesentlicher Unfallauslöser. „Bei den üblichen Acht-Zoll-Rädern bringen selbst kleine Hindernisse so große Probleme, dass kleinste Unaufmerksamkeiten zu schweren Stürzen führen“, sagte Brockmann. Größere Raddurchmesser brächten schon ohne Hindernisse eine bessere Stabilität, könnten aber auch Hindernisse besser überwinden. Es sei ein vorhersehbarer Fehler gewesen, diese überhaupt zuzulassen. Für Neufahrzeuge sollte dies so schnell wie möglich auf mindestens 10 Zoll heraufgesetzt werden. Verleiher forderte er auf, dies, falls noch nicht geschehen, bei Ersatzbeschaffung sofort umzusetzen.

Beim Abbiegeunfall, der bei zwei Beteiligten eine wesentliche Rolle spielt, könnten alle Maßnahmen helfen, die auch in Bezug auf den Radunfall diskutiert werden. Dazu gehören getrennte Ampelphasen, Freihalten der Sichtachsen und verbesserte Erkennbarkeit der Wegeführung. Allerding zeigte sich in der Studie, dass Scooter-Fahrer durch Fahren in der falschen Richtung zum Problem beitragen.

Insgesamt bemängelte Brockmann, dass die gerade in der Abstimmung befindliche Novelle über Elektrokleinstfahrzeuge wesentliche Sicherheitsaspekte wie die Radgrößen nicht berücksichtige. So werde weiterhin keinerlei Nachweis von Kenntnissen der Straßenverkehrsordnung vorgesehen. Dies sei für ein Kraftfahrzeug einmalig und nicht zu verstehen. Mindestens sei eine Mofa-Prüfbescheinigung oder, da diese im Ausland nicht existiert, ein Führerschein AM (Mopedführerschein) vorzusehen. Damit einher ginge automatisch eine Anhebung der Altersbegrenzung auf 15 Jahre.

In Bezug auf das Alkoholproblem sagte Brockmann, dies trete zwar beinahe ausschließlich bei Alleinunfällen auf, gleichwohl müsse man die Nutzer auch vor sich selbst schützen. Dies können am besten durch verstärkte Polizeikontrollen an den einschlägigen Orten erfolgen. Vor dem Hintergrund des schwierigen Handlings sollte dabei viel öfter auch die sogenannte relative Fahruntüchtigkeit (0,3 Promille) in den Blick genommen werden. Möglicherweise trage aber durch Einschränkung der Verfügbarkeit schon die in der Gesetzesnovelle vorgesehene Pflicht zu festen Abstellzonen für Leihscooter zur Verringerung des Problems bei.

Die ebenfalls in der Novelle vorgesehene Angleichung der zu nutzenden Verkehrsflächen an das Fahrrad sieht Brockmann unkritisch: Von den insgesamt vom Scooter verursachten Unfällen mit Schwerverletzten und Getöteten entfielen gerade einmal jeweils fünf Prozent auf Fahrradfahrer oder Fußgänger. Gleichwohl sollte natürlich die Nutzung falscher Verkehrsflächen möglichst unterbunden werden.

Für eine immer wieder geforderte Helmpflicht gab die Studie hingegen keine ausreichende Argumentation. Die Verletzungen in der UKB-Studie waren zwar überwiegend im Kopfbereich, jedoch waren von insgesamt begutachteten 322 Fälle nur in acht Fällen Kopfverletzungen schwer, davon nur eine lebensbedrohend. Die überwiegende Anzahl von Verletzungen im Kopfbereich betraf darüber hinaus Gesichtsfrakturen oder den Zahn-Kiefer-Bereich, gegen die Fahrradhelme keinen wirksamen Schutz bieten. Dies gelte auch für viele leichte Gehirnerschütterungen.

Dringend warnte Brockmann davor, im Zuge der von der EU-Kommission angestrebten Harmonisierung eine Geschwindigkeit von 25 km/h zuzulassen. Handlingprobleme würden sich dadurch verschärfen und, wie die durchgeführten Simulationen zeigten, die Aufprallkräfte würden sich gerade im Kopfbereich kritisch erhöhen.

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Über die Björn Steiger Stiftung:

Die Björn Steiger Stiftung wurde 1969 von Ute und Siegfried Steiger gegründet, nachdem ihr Sohn nach einem Verkehrsunfall an den Folgen unzureichender Notfallversorgung verstarb. Seitdem engagiert sich die Stiftung unermüdlich für die Verbesserung des Rettungswesens in Deutschland. Zu ihren wegweisenden Initiativen zählen unter anderem die Einführung der Notrufnummern 110/112, Gründung und Aufbau der Deutschen Rettungsflugwacht (DRF) sowie die Einrichtung von Notrufsäulen an Bundes- und Landstraßen. Die Stiftung verfolgt das Ziel, auf Missstände im Bereich der Notfallhilfe aufmerksam zu machen, den öffentlichen Diskurs anzustoßen und mit eigenen Projekten, wie dem Baby-Notarztwagen oder Herzsicher, und konkreten Lösungen zu einer besseren Notfallversorgung beizutragen – so auch 2025 mit der Einreichung einer Verfassungsbeschwerde zur Schaffung einheitlicher Regelungen im Rettungsdienst. Seit 2024 engagiert sich die Stiftung in konsequenter Weiterentwicklung ihrer Geschichte mit einem eigenen Bereich in der Vermeidung von Verkehrsunfällen.  

Weitere Informationen unter: www.steiger-stiftung.de

Ihre Ansprechpartner
Siegfried Brockmann, Geschäftsführer der Björn Steiger Stiftung
Siegfried Brockmann

Geschäftsführer Unfallprävention
030-39821-7277s.brockmann@steiger-stiftung.de
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Unger

Referentin Projektsteuerung und Kommunikation
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